Leseprobe 

Strudelvariationen Deluxe

Ein Schulkrimi

Zu sehen ist das Cover des Steirerkrimis "Strudelvariationen Deluxe" von Nina Kollmann

Kapitel 1

 

Also eines muss man schon ganz ehrlich sagen: So ein Job – egal welcher – ist auch nicht immer das Honiglecken schlechthin. Vor allem wenn telefonisch Kundenbeschwerden hereinkommen, die man eigentlich nur an die zuständige Stelle weiterleiten soll, die zuständige Stelle aber nicht erreichbar ist. Man kann sich schon denken, wie das ausgeht: Das ganze Gezeter bleibt an einem selbst hängen. Und das ist nicht immer wenig, was da so an einem abgeladen wird. Die zuständige Beschwerdestelle wäre in meinem Fall mein Vorgesetzter und zugleich Ehemann, also quasi die Personalunion Ewald Kronepeter. Und wo der Ewald sich in letzter Zeit immer aufhält, das wäre schon interessant zu wissen. Immerhin kommt es neuerdings häufiger vor, dass mein Ewald nicht auffindbar ist, wenn er dringend im Büro gebraucht wird. 

Auf jeden Fall ist heute ein super sonniger Tag und an einem solchen mag man sich die Laune nicht verderben lassen von Beschwerden, die die Personalunion Ewald betreffen. Da kann man es sich schon einmal erlauben, etwas früher Schluss zu machen, immerhin geht es auch um die Work-Life-Balance. Man arbeitet sowieso viel zu viel, das hält ja keiner aus auf Dauer. Und so mach ich mich, um einem gewaschenen Burn-Out vorzubeugen, auf den Weg nach Hause. 

Die Sonnenbrille auf, die Luxuskarosse – in meinem Fall ein pinker Fiat 500 – gestartet und los geht es. Ein Fahrgefühl ist das schon in so einem italienischen Flitzer, das macht jedes Mal richtig Freude beim Gasgeben. Auch wenn er nicht mehr der Neueste ist, aber abgehen tut er fast wie ein Ferrari, da ist wirklich nicht viel Unterschied. Kann ich mir zumindest vorstellen, weil gefahren bin ich noch keinen Ferrari. Verkehr ist auch noch keiner in Graz, es ist eben noch ein bisschen früh für den täglichen Arbeiter-Heimfahr-Stau. Stellt sich direkt die Frage, ob es nicht sowieso auf Dauer besser wär, um halb drei das Büro zu verlassen. Aber da hätte die Personalunion Ewald sicher was Entscheidendes dagegen. Schließlich braucht er seine Assistentin der Geschäftsleitung, mich nämlich. 

 

Der Ewald hat einen Betrieb, der technisches Equipment für den digitalen Videoschnitt anbietet. Für den wollt er mich ursprünglich als Sekretärin anstellen, aber einmal ehrlich: „Assistentin der Geschäftsleitung“ klingt viel besser als Sekretärin. Deshalb hab ich auch Visitenkarten mit dieser Berufsbezeichnung drucken lassen: „Kronepeter Professional Cutting Solutions (PCS) – Mag. Maria Kronepeter – Assistentin der Geschäftsleitung“ steht da, und die Kontaktdaten. Die Personalunion hat nur den Kopf geschüttelt und kurz einen Vortrag über den überschießenden Geltungswahn von emanzipierten Frauen in der heutigen Gesellschaft abgelassen. Aber dann hat er gemeint: „Ist ja eh wurscht, was auf deiner Visitenkarte steht, Hauptsache du machst mir die Sekretärin im Betrieb.“ 

Da ist er ganz pragmatisch, mein Ewald. Und das mache ich nun seit etwa zwei Jahren, die Sekretärin. Die Auftragslage von Kronepeter PCS lässt in letzter Zeit zu wünschen übrig, außer Beschwerden gibt es nicht viel zu bearbeiten.

Vor zwei Jahren war noch von Expansion die Rede, von Personalaufstockung und Durchdringung des Weltmarktes. „Kannst bei mir anfangen, Schatzi, im Betrieb“, hat der Ewald damals gemeint, „gemeinsam machen wir da eine Riesensache, das sag‘ ich dir.“

Aber von Riesensachen und Durchdringung des Weltmarktes spricht der Ewald in letzter Zeit nicht mehr. Nur die Mama Hermi, die Mutter vom Ewald, redet noch davon. Ihr gesamter Freundeskreis glaubt, dass ihr Sohn es zum Großunternehmer geschafft hat. „Der Ewald hat sogar eine eigene Assistentin der Geschäftsleitung, die nur für ihn da ist“, betont sie immer. 

Wunderbar ist das, wenn man um kurz nach drei schon zu Hause ist. Das sollt man sich wirklich angewöhnen und erst recht bei so einem Wetter. Jetzt ein gutes Buch, ein Häferl Kaffee und ab auf die Terrasse zum Chillen, wie die Tochter von der Lisi sagen würd. Die Lisi ist meine beste Freundin, die kenn ich schon seit der Schulzeit. Sie meint allerdings, dass die Stella, also ihre Tochter, fast zu viel abchillt, weil sich das halt mit der Schule nicht so gut vereinbaren lässt. Und da gibt es dann zwischendurch Reibereien. Die Stella argumentiert mit dem massiven, völlig unentspannten Leistungsdruck in der heutigen Gesellschaft im Allgemeinen und bei ihr zu Hause im Speziellen. Und die Lisi kontert mit der zerebralen Verödung durch exzessiven Computerspiele-Konsum. Ganz normale Mutter-Tochter-Gespräche im Prinzip, weil die Stella ist dreizehn und da fangen die Diskussionen eben an. 

Wenn ich was dazu sag, betont die Lisi immer, dass ich als kinderlose Sekretärin bei Erziehungsthemen nicht mitreden soll. Das kränkt dann schon ein bisserl, wenn man bedenkt, dass ich eine Ausbildung im pädagogischen Bereich abgeschlossen hab. Ich hab sogar als Lehrerin gearbeitet, bevor der Ewald mit mir die ganz große Karriere geplant hat.

Aber bei der Lisi reiß ich mit meinem Ex-Job nichts. „Die Lehrer sind sowieso die Schlimmsten, die haben ja von Erziehung gar keine Ahnung. Du bist eh keine Lehrerin mehr, da wird Ehrlichkeit wohl erlaubt sein“, kann ich mir immer wieder anhören. Weil wenn die Lisi sich einmal eine Meinung gebildet hat, ist sie nur ganz schwer wieder davon abzubringen. 

Das mit meiner Kinderlosigkeit ist allerdings Fakt. Der Ewald will nämlich mit dem Kinderkriegen noch warten, bis die Expansion von Kronepeter PCS stattgefunden hat und die finanzielle Zukunft unseres Nachwuchses auf soliden Beinen steht, wie er das immer nennt. Solide – Ewald hat es gerne solide und geregelt, in der Arbeit und auch zu Hause. Ein von mir selbst gekochtes Essen nach der Arbeit zum Beispiel, das ist solide, das liebt der Ewald.

 

Wie mein pinker Fiat 500 in den heimischen Hafen einbraust, seh ich auf dem Parkplatz vom Ewald einen kleiner Toyota stehen. Komisch eigentlich, den kenn ich gar nicht. Wenn der Ewald das wüsst!

„Maria, mach schnell ein Foto von dem Toyota-Spuckerl da. Das gibt gleich eine saftige Besitzstörung“, hör ich Ewald sagen. „Wer das Kleine nicht ehrt, ist das Große nicht wert. Ein Hunderter müsste da für uns nach Abzug der Anwaltskosten mindestens rausschauen. Komm, mach schon, Maria.“ 

Aber der Ewald ist ja nicht da und so park ich neben dem Toyota-Spuckerl, nehm meine Tasche vom Beifahrersitz und geh in Richtung Eigenheim. Die Schlüsselsuche in so einer Frauentasche gestaltet sich immer langwierig, doch als ich ihn endlich hab und in das Schloss stecken will, stell ich fest, dass die Tür zu unserem Eckreihenhaus gar nicht versperrt ist.

Da ist man sofort alarmiert! Ich mein, nicht dass es bei uns etwas zu holen gäb, wofür sich ein Einbruch lohnen tät, aber das kann ein Einbrecher im Vorfeld ja nicht wissen. Deshalb geh ich jetzt ganz leise ins Vorzimmer – und verwerf meine Einbruchstheorie gleich wieder. Erstens, weil ich Stimmen und Lachen aus dem ersten Stock hör und zweitens, weil ich fremde Schuhe im Vorzimmer stehen seh. Dass es sich um Frauenschuhe handelt, ist ganz klar – High Heels. Und dass es nicht meine Schuhe sind, ist auch klar – Louboutins. Verdammt sind die echt? Es geht nicht anders: ich muss die Schuhe ganz genau unter die Lupe nehmen. Ja, kein Zweifel, schwarze Louboutins, Gott, die haben diese geniale rote Sohle! Sehr fein gearbeitet sind sie. Aber sonst auch nicht anders als andere Schuhe, das muss man dann der Ehrlichkeit halber auch sagen. Verdammt noch einmal, wer kann sich echte Louboutins leisten? Und die noch interessantere Frage ist: Was machen echte Louboutins in unserem kleinen biederen Eck-Reihenhaus? 

Wieder Kichern von oben. Dem Phänomen der Louboutins muss nachgegangen werden, so viel ist einmal vollkommen klar. Und so zieh ich meine No-Name-Schuhe leise aus und schleich auf Zehenspitzen die Holz-Treppe in den ersten Stock hinauf. Zwei der Stufen knarren, aber da im ersten Stock die Stimmung recht ausgelassen ist, fällt das Knarren nicht auf. Kommen die Laute aus dem Badezimmer? Ich schleich hin und leg mein Ohr an die Badezimmertür. Eindeutig, im Badezimmer geht es ab, aber so richtig. Also beschließ ich für mich, dass ich mir einen detaillierten Überblick über die Lage im Badezimmer verschaffen muss. Ich drück die Klinke nach unten und stell fest, dass die Tür versperrt ist. Das ist störend, aber nicht sehr, weil versperrte Türen für mich kein echtes Hindernis darstellen, weil ich da einige Erfahrung hab. Die Stella hat früher nämlich die saublöde Angewohnheit gehabt, sich in ihrem Zimmer einzusperren, wenn sie nicht duschen wollt. Und da hat die Lisi auf mich zurückgegriffen, weil ich im Türe-Knacken geschickter war als sie. Danach hat es dann noch kurz Theater gegeben mit Geplärr und Geheule von der Stella und schwarzer Pädagogik von der Lisi, und wie das auch erlegt war, hat die Lisi jedes Mal einen Prosecco ausgegeben. Das war immer sehr nett.

Die versperrte Badezimmertür ist gar keine Herausforderung, weil sie sich durch ein paar läppische Handgriffe wieder öffnen lässt, wie ich jetzt feststelle. Wie ich dann in der offenen Badezimmertür steh, seh ich, dass der Vorhang zu unserer kleinen Duschnische vorgezogen ist und leicht wackelt. Der Boden ist mit allen möglichen Kleidungsfetzen bedeckt, die anscheinend in wilder Gier von den jeweiligen Körpern entfernt worden sind. Das allgemeine Schweigen und die Stille werden mir jetzt langsam verdächtig, daher wird‘s Zeit, Maßnahmen zu setzen. 

Wie eine Furie – zumindest würd der Ewald mich in dieser Situation so nennen –, also halt recht energisch, greif ich mir ein Eck vom Duschvorhang und reiß ihn zur Seite. In meinem Kopf hör ich den Ewald sagen: „Also, eine Dame wird aus dir nie werden“, in real hör ich, wie er sagt: „Das ist jetzt aber nicht gut!“ Eloquent war er schon immer, mein Ewald.

Die Louboutin-Tussi, die bei ihm auf der Duschtasse steht, ist echt hübsch, das muss man leider ehrlich sagen. Große blaue Augen, lange blonde Haare – die sehen sicher noch schöner aus, wenn sie nicht so nass und durchwühlt sind wie jetzt. Und eine Top-Figur hat sie, groß, schlank, sportlich und durchtrainiert. Da ist keine Zellulite-Delle zu entdecken, keine einzige. Wie ein Model schaut sie aus. Nur die Lippen hätt sie sich nicht aufspritzen lassen sollen, die Louboutin-Tussi. Da muss man nämlich total aufpassen, wenn man um die Lippenpartie herum aufpolstert, weil das in den meisten Fällen sofort übertrieben ausschaut. Da braucht man einen guten Beauty-Doc, der das auch richtig dosiert. Aber den hat sich die Louboutin-Tussi anscheinend nicht geleistet, weil ihre Lippen stehen sogar weiter vom restlichen Gesicht ab als die Nase. Aber alles in allem muss man sie trotzdem als äußerst attraktiv bezeichnen. Und jung ist sie auch, wahrscheinlich halb so alt wie ich. Das wirft mich stimmungsmäßig gleich noch einmal um einiges zurück. Richtig uralt komm ich mir plötzlich vor, weil ich eben doch schon auf die vierzig zugeh.

„Genau“, stimm ich dem Ewald zu, „das ist jetzt allerdings gar nicht gut!“

Ich meine, ist das noch zu fassen? Mein Ewald, am frühen Nachmittag nackt in der Dusche statt im Büro und dann noch in Begleitung. Und ich kann die Beschwerden abarbeiten, die eigentlich nur ihn was angehen. Meine Stimmung ist jetzt wirklich am Tiefpunkt und ich krieg eine echte Wut. Und weil ich mich ein bisserl abreagieren muss, reiß ich den Duschvorhang von der Stange. Dann setz ich mich auf den kleinen Hocker, der an der Wand steht, leg den Duschvorhang neben mir auf den Boden und schlag die Beine elegant übereinander. Rücken gut durchgestreckt, in einer solchen Situation muss man schließlich Würde bewahren. Ich versuch sogar ein Lächeln.

Zwei entsetzte Augenpaare starren mich von der Duschnische aus an. Eigentlich fast ein komisches Bild, wie sie beide da so in der Dusche stehen, der Ewald und seine Louboutin-Tussi, und wie das Wasser an ihnen heruntertropft. Sie drückt sich hinter den Ewald in die Ecke, er starrt mich nach wie vor an. 

Die Tussi durchbricht schließlich die Stille und wendet sich hilfesuchend an meinen beziehungsweise ihren Ewald: „Jetzt mach doch bitte was!“

„Ja, was soll ich denn jetzt bitteschön machen?“, meint der Ewald in seiner eloquenten Art. „Ich hab dir noch gesagt, dass das eventuell keine so gute Idee ist, bei mir zu Hause.“

„Aber bei mir sind die Maler, das weißt du. Ich wollt in ein Hotel, in das schöne Hotel gleich bei mir um die Ecke. Null Probleme hätten wir gehabt. Aber du wolltest nicht. Das ist alles deine Schuld“, schluchzt es jetzt aus der Louboutin-Tussi hervor und sie weicht in einer emanzipierten Geste ein bisserl vorm Ewald zurück.

Ein Hotel kostet eben, und so ist er, mein Ewald: ein echter Sparfuchs. Das hat die Mama Hermi auch immer gesagt: „Der Bub wird es einmal zu viel bringen, so wie der immer spart. Und g’scheit ist er auch noch.“

Ich beschließ, dass der Ewald jetzt mit mir ein Problem kriegt und zwar ein ausgewachsenes. Ich mein, sowas geht gar nicht, außerehelicher Geschlechtsverkehr, und dann noch im eigenen Eck-Reihenhaus-Badezimmer. Wobei es dazu meiner Einschätzung nach heute noch nicht gekommen ist, aber der Wille war ja schließlich da und das zählt genauso. 

Ich visier ihn an wie ein Adler seine Beute kurz vor dem Sturzflug. „Also der Irrtum ist, Ewald: Es ist nicht dein Haus, in dem du dich mit deinem Teenie vergnügst, sondern mein Haus. Vergiss das bitte nicht, Ewald-Schatz. Und wahrscheinlich macht es jetzt Sinn, wenn du deine Dusch-Bekanntschaft einpackst und mein Haus verlässt.“

„Müssen wir uns jetzt, in einer solchen Situation, über Dein und Mein unterhalten, Maria?“, kommt’s da vom Ewald aus der Duschecke.

Aber jetzt einmal ganz ehrlich: ja! Gerade in einer solchen Situation find ich geordnete Verhältnisse ganz bedeutend. Und eines ist er Gott sei Dank, mein Ewald, nämlich ängstlich. Die Lisi sagt sogar, er ist ein Mords-Feigling, aber die Lisi mag den Ewald sowieso nicht. Von sich selber sagt der Ewald, er ist risiko-avers und meint, dass das in einer Ehe mit einer Person wie mir, die das Geld mit beiden Händen aus dem Fenster wirft, die einzig wirksame Überlebensstrategie ist. Wie auch immer, auf jeden Fall geht der Ewald bei Finanzen immer auf Nummer sicher. Und weil vor etwa einem halben Jahr die Auftragslage bei Kronepeter PCS nicht unbedingt so gut war wie erhofft und die Expansion des Firmenimperiums in weite Ferne gerückt war, hat der Ewald-Schatz unser Eck-Reihenhaus auf mich überschrieben. 

„So ein Unternehmen ist immer eine riskante Sache“, hat er mir damals in einer feurigen Rede erklärt. „Als Unternehmer kannst du jederzeit scheitern, auch wenn du noch so gut bist. Du kannst ein As sein und trotzdem geht alles den Bach runter, weil die Märkte einfach nicht einzuschätzen sind. Die Wirtschaft ist ein riesiges Haifischbecken und die Politik mischt dann auch noch mit. Wenn du da einem g’wamperten Klinkenputzer nicht zu Gesicht stehst, kann schon alles vorbei sein, ohne Schuld, verstehst du das? Aber auf die eigene Frau, da muss Verlass sein. Und schließlich bist du auch ein bisserl von mir abhängig, Maria-Maus, also ist Zusammenhalt angesagt, Zusammenhalt und Vertrauen.“ Und dann hat der Ewald vor lauter Rührung, weil er so schöne Worte gefunden hat, fast Tränen in den Augen gehabt bei seiner Verkündung: „Ich vertraue dir, Maria. Ich vertraue dir mein Haus an.“ 

Damals war ich schon sehr überrascht. Richtig romantisch hab ich das gefunden von meinem Ewald. 

Die Lisi hat meine Romantik eher nüchtern gesehen. „Der Feigling will sich nur selbst schützen! Die alte Geschichte kennt man aber wirklich, Maria: Geschäft läuft nicht mehr so gut, Schulden, Konkurs, volle Haftung, Haus weg, Auto weg, alles weg, Pfändung bis aufs Existenzminimum. Schau dir lieber eure Buchhaltung genauer an, bevor du einen Romantik-Schub kriegst.“

Wahrscheinlich war die Romantik damals wirklich fehl am Platz, aber wie auch immer, was heute zählt sind Fakten: MEIN Haus und übrigens auch MEIN Auto. Wobei der Ewald sowieso nicht in einen pinken Fiat 500 einsteigen würd, weil er da eben seine Standesdünkel hat. 

Und wie ich so nachdenke, über Haus und Auto, hab ich direkt das Gefühl, die Zeit ist stehengeblieben. Ich sitz noch immer ruhig und gerade da und schau mir die zwei Turteltäubchen in der Dusche an. Der Ewald weiß anscheinend auf die Schnelle Nichts mehr zu sagen. Wahrscheinlich kalkuliert er schon verschiedene Ehe-Untergangs- oder auch Ehe-Rettungs-Szenarien in seinem Geiste kostentechnisch durch. Die Louboutin-Schnepfe wird immer unruhiger, das kann man deutlich erkennen. Wahrscheinlich wird ihr langsam kalt, so ganz nass wie sie ist. „Mach doch was“, winselt sie.

Da ergreift der Ewald noch einmal das Wort. „Maria-Schatz, lass uns wie erwachsene, vernünftige Menschen handeln in dieser sicher außergewöhnlichen Situation. Wie wäre es, wenn du einmal hinunter in die Küche gehst und dort auf mich wartest? Ich begleite noch schnell die Gabi hinaus und dann reden wir in aller Ruhe über dieses grausliche Missverständnis.“

„Grauslich, was soll das heißen?“, höre ich die Louboutin- beziehungsweise Gabi-Schnepfe, die jetzt schon vehementer auftritt.

„Gabi, mach nicht du auch noch eine Szene, verstanden?“, schreit der Ewald jetzt die Gabi-Schnepfe an, dass sie einem fast schon wieder leidtun kann. Aber die Nerven liegen eben blank bei meinem Ewald, eine echte Ausnahmesituation ist das.

Ich sage ihm, dass ich jetzt totale Lust habe, hier weiterhin auf dem Badezimmer-Hocker zu sitzen, weil das nämlich richtig entspannend ist. Aber die Gabi und er, die sollen sich nicht stören lassen, sie sollen einfach so tun, als wär ich nicht da. 

Jetzt drückt die Gabi-Schnepfe tatsächlich ein paar Tränchen aus den hübschen blauen Augen. „Dass du mich in so eine Situation bringst, verzeihe ich dir nie“, raunzt der aufgespritzte Mund.

„Liebling, ich hab dir ja gesagt, meine Frau ist zu allem fähig. Die Maria, die bleibt jetzt da sitzen, die ist stur wie ein Esel. Komm, Gabi-Maus, es ist jetzt kein Spaß mehr, wir machen, dass wir wegkommen.“

„Ich geh nicht aus der Dusche, wenn die uns zusieht“, schreit jetzt die Gabi-Schnepfe richtig hysterisch.

„Ja, dann bleibst halt da. Ich geh auf jeden Fall, mir reicht´s.“

Und das ist wieder fast komisch, was sich dann im Badezimmer abspielt. Die Gabi-Schnepfe steigt doch auch aus der Dusche, sehr schüchtern wirkt sie plötzlich, und in Rekordzeit haben die beiden wieder die wichtigsten Habseligkeiten am Leib. Natürlich ist das Kleiderl von der Schönen irgend so ein Designerfetzen und Größe 34.

„Maria, wir reden am Abend in aller Ruhe. Entspann dich einfach ein bisserl. Ich geh jetzt noch einen Sprung ins Büro und wenn ich wieder nach Hause komm, bring ich uns eine Flasche Wein mit. Einen richtig guten Tropfen gönnen wir uns heute, einen richtig guten. Und dann wird sich alles aufklären. Okay, Maria-Schatz?“, labert der Ewald vor sich hin, während er seine Hosen hochzieht und die Socken hektisch in die Hosentaschen stopft. Dann schiebt er die Gabi-Schnepfe, die auch schon wieder beinahe vollständig bekleidet ist, durch die Tür und ergreift mit ihr die Flucht aus meinem Eck-Reihenhaus. Kurz darauf wird hektisch das Toyota-Spuckerl gestartet, das braust dann mit viel zu viel Gas davon.

 

Wie ferngesteuert geh ich nach unten und hol mein Handy aus der Tasche. „Lisi, ich brauch dich jetzt. Du glaubst nicht, was gerade passiert ist“, bricht es wütend aus mir heraus.

„Der Ewald hat dich wieder beschissen“, meint die Lisi lapidar.

Kurz überleg ich, ob ich gleich wieder auflegen soll, weil ich halt auf so einen Kommentar gar nicht neugierig bin. Das kann schon anstrengend sein, wenn die Lisi immer ins Schwarze trifft. Aber dann leg ich doch nicht auf, sondern erzähl ihr detailgetreu, was sich im Badezimmer so alles abgespielt hat.

„So ein Schwein, der Ewald. Schon wieder“, empört sich die Lisi. „Diesmal verzeihst du ihm aber nicht, Mary. Diesmal nicht wieder. Aller schlechten Dinge sind drei und damit reicht es jetzt endgültig. Und immer Blondinen, das ist ein Fremdgeh-Muster bei ihm. Ich hab schon immer gewusst, dass der Ewald zum Vergessen ist, hab ich es dir nicht gesagt? Sei froh, dass du ihn los bist und nimm ihn ja nicht wieder zurück, hast du mich verstanden? Der Ewald ist passé, ein für alle Mal.“ Die Lisi hat den Ewald nie gemocht. Das muss man sagen. Und deshalb scheint die Schimpftirade von der Lisi gar kein Ende mehr zu nehmen, doch plötzlich bricht sie in schallendes Gelächter aus.

„Was ist da jetzt bitte so derart komisch?“, frage ich, weil’s mir halt wirklich nicht eingeht.

Aber die Lisi erholt sich gar nicht mehr von ihrem Lachanfall und kann kaum noch reden. Ich hör nur noch Geräusche am anderen Ende der Leitung, die sich nach einem schrecklichen Erstickungstod anhören. „Wenn ich mir die beiden vorstell, wie die in der Dusche stehen und du sitzt ihnen seelenruhig gegenüber. Herrlich, 1A, Mary, das hätt ich dir gar nicht zugetraut“, stammelt die Lisi endlich zwischen ihren Lachkrämpfen hervor. „Das vergessen die beiden nie. Aber was du jemals am Ewald gefunden hast – keine Ahnung. Der ist weder intelligent noch reich noch schön noch witzig noch charmant. Der hat einfach gar nichts.“

Mich überfällt ein Schub von Selbstmitleid. „Was findet dann die Gabi-Schnepfe an ihm? Lisi, die ist doppelt so hübsch wie ich und nur halb so alt.“

„So ein Blödsinn, Mary. Die ist einfach ein anderer Typ als du, aber mehr auch nicht. Die steht nur auf den Ewald, weil sie noch null Lebenserfahrung hat, null. Und eine Sehschwäche hat sie anscheinend auch. Und die Zellulite-Dellen kommen noch mit der Zeit, ganz sicher. In ein paar Jahren ist die Gabi zerfressen von Zellulite, Hintern, Oberschenkel, einfach alles. Wirst sehen“, tröstet mich die Lisi und eines muss man sagen: Da findet sie schon die richtigen Worte. Das tut gut.

„Aber was soll ich denn jetzt machen, Lisi?“, gewinnt mein Selbstmitleid wieder Oberwasser.

„Eines ist einmal ganz klar: Du verlässt sofort den Ewald. Das heißt, genauer gesagt, du schmeißt ihn raus, Mary. So was kannst du dir nicht noch einmal bieten lassen, da sind wir uns aber schon einig, oder?“ 

Ich geb zu bedenken, dass ich als Folge keinen Mann und auch keinen Job mehr haben werde, weil das eine bei mir ja blöderweise mit dem anderen zusammenhängt.

Dann folgt eine kurze Ansprache von der Lisi, dass die Abhängigkeit vom Ewald sowieso ein unnötiger Zustand ist. Weil die Lisi, die steht auf eigenen Beinen, die war nie von einem Mann abhängig. „So weit kommt es noch“, empört sie sich immer, wenn davon die Rede ist. Da macht sie lieber ihren Job als Redakteurin bei der wichtigsten Tageszeitung der Steiermark. Der ist zwar anstrengend, aber dafür ist sie unabhängig.

„Mary, ich manage jetzt deine Zukunft, eine super Zukunft, wirst schon sehen“, sagt die Lisi dann siegessicher. Und dann unterbreitet sie mir einen Plan, den ich auf die Schnelle durchaus in Ordnung find. Ich selbst bin sowieso im Moment nicht in der Laune, Zukunftspläne zu entwerfen. „Lass mich nur machen, Mary“, sagt sie noch bevor sie auflegt.

 

Irgendwie ist die Situation dann schon ungewohnt für mich. Ich sitz im Ess-Wohnzimmer von meinem Eck-Reihenhaus und starr vor mich hin.

Aber die Lisi hat nicht zu viel versprochen. Nach nicht einmal einer Stunde läutet es an der Tür und sie ist da, zusammen mit einem fremden Mann. „Hallo, Mary-Liebes“, fällt sie umarmend über mich her. Ganz fest drückt sie mich, dass mir fast schummrig wird. Dann stellt sie mir den Mann vor. „Der Herr Walser vom Schlüsseldienst weiß über alles Bescheid und hat keinerlei Verständnis für das Verhalten vom Ewald. Gar kein Verständnis, oder, Herr Walser?“ Der Schlüsseldienst-Mensch schüttelt energisch den Kopf. „Er hat gleich erkannt, dass er sofort zu diesem Noteinsatz kommen muss. Und er macht dir auch einen guten Preis, Mary.“ Der Herr Walser nickt jetzt energisch. „Siehst, Mary, und so hast du viele liebe Menschen um dich herum, die dir in dieser schweren Zeit beistehen. Kein Grund zu verzweifeln.“ Die Lisi streichelt beruhigend meine Hand.

Nach etwa einer halben Stunde ist die Sache mit dem Türschloss auch schon erledigt und die Lisi ist sehr zufrieden. „Der Ewald kommt hier nicht mehr herein. Was glaubst, wie der schaut. Das traut der dir nie zu. Jetzt startet Phase zwei.“ 

Die Lisi ist voll in ihrem Element, das ist ganz klar zu erkennen. Sie geht ein paar Mal in meinen Keller und bringt haufenweise Kartons, blaue Ikea-Säcke und andere Beutel herauf. Beim dritten Mal hat sie eine Flasche Prosecco untergeklemmt. Sie holt zwei Sektflöten aus meinem Gläserschrank und lässt den Korken so richtig knallen. „Auf dein neues Leben“, sagt sie und wir trinken gleich einmal ordentlich auf den Rausschmiss vom Ewald. Dann hilft die Lisi mir, die Sachen vom Ewald zu packen. Unglaublich, wie viel da zusammenkommt: Hosen, Hemden, Schuhe, Unterwäsche, Sportkleidung, Skiausrüstung, Radausrüstung, Bettwäsche und so weiter und so weiter. Alles wird sorgfältig in Säcke gestopft oder gleich direkt auf den Garagenplatz vom Ewald gestellt. Also, eigentlich ist es ja nicht mehr sein Garagenplatz, aber das ist jetzt kleinlich. Als wir fertig sind, türmt sich ein richtiger Berg auf dem Garagenplatz auf, das kann man sich kaum vorstellen. Aber ich muss schon sagen: Fleißig waren wir! In so kurzer Zeit haben wir alles geschafft.

„Das muss alles wieder gebügelt werden, das kann der Ewald so nicht anziehen“, freut sich die Lisi über die Knitter-Wäsche in den Säcken. „So, Mary, jetzt sperren wir die Türe ordentlich zu und dann leeren wir unser gutes Fläschchen.“ 

Und so machen wir das auch. Danach holt die Lisi noch eine zweite Flasche Prosecco aus dem Keller und der Korken knallt wieder. Meine Ration für den heutigen Abend, meint sie, damit die Laune steigt. Dann setzt sie wieder zu ihrer Mega-Umarmung an. „Süße, ich muss jetzt, die Stella hat sicher wieder den ganzen Nachmittag nur Computer gespielt. Du kannst mich jederzeit anrufen, jederzeit. Und sperr hinter mir sofort die Tür wieder ab und lass ihn auf keinen Fall herein, deinen Ex-Ewald. Auch nicht zum Reden, Mary. Versprich es mir, der kriegt dich sonst wieder rum.“ Ich verprech ihr, dass der Ewald endgültig Vergangenheit ist. Sie drückt mir zum Abschied noch einen Kuss auf die Wange. „Und ruf morgen unbedingt den Hubert an, gleich am Vormittag, sobald du ausgenüchtert bist. Er ist schon informiert, dass du dich melden wirst. Er rechnet mit dir, Süße. Alles wird gut!“ 

Als sie weg ist, geb ich mich dem Prosecco hin. Der Hubert, ach ja, der Hubert. Das war so eine Geschichte damals mit dem Hubert. Das ist Ewigkeiten her, dass er und ich ein Paar waren. Kennengelernt haben wir uns damals über die Lisi, weil der Hubert nämlich ihr Bruder ist. Auf Dauer hat das aber nicht gepasst mit uns – was die Lisi gleich gewusst hat, weil der Hubert viel zu spießig für mich ist, wie sie gemeint hat. Nur dass der Ewald dann ihrer Meinung nach noch spießiger war und überhaupt ein Unmensch. „Da hättest gleich beim Hubert bleiben können“ hat sie nicht nur einmal gesagt.

 

Das Drama mit dem Ewald, dem ausgetauschten Türschloss und den ausgesiedelten Sachen geht dann recht unproblematisch zu Ende. Da tragt der Prosecco auch dazu bei. Den hat übrigens der Ewald bezahlt, deshalb schmeckt er fast noch besser. So im leichten Dämmerzustand seh ich zwischendurch aus den Augenwinkeln den Ewald vor dem Wohnzimmerfenster abturnen. Klopfen tut er auch, am Fenster, aber da regel ich einfach die Lautstärke vom 3D-Riesen-Flachbildfernseher, den der Ewald sich eingebildet hat, ein bisserl weiter nach oben. Dann gibt er es auch recht schnell auf und rauscht in seinem dicken geleasten 7er BMW davon. 

Dann bezieh ich mein Bett neu und sink hundemüde hinein. Ich schreib der Lisi noch schnell eine WhatsApp, dass ich den Ewald nicht mehr hereingelassen hab und das letzte, was ich seh, bevor ich abrupt in einen Prosecco-Tiefschlaf fall, ist ihre Antwort: Lauter hochgestreckte Daumen und ein großes rotes Herz.